Staatstheater Nürnberg

Im Detail: Der Bau

Augmented Reality Theater nach Franz Kafka

Der Bau headerFoto: Konrad Fersterer

Aufführungsdauer: 1 Stunde, keine Pause


"Ich habe den Bau eingerichtet und er scheint wohlgelungen", beginnt das Tier sichtlich stolz auf seinen Bau, den es mit großer Sorgfalt und beträchtlichem Aufwand aus dem Waldboden gekratzt hat. Die große Mühe hat sich gelohnt, denn schließlich ist so ein Bau eine deutliche Verbesserung gegenüber dem vorherigen nomadischen Dasein, wo man quasi jederzeit anderen, größeren Räubern zum Opfer fallen könnte. Jetzt aber ist das Tier sicher! Oder?

Franz Kafka, einer der größten deutschsprachigen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, hat in den letzten Monaten seines Lebens diese Fabel über Angst, Wahn und Untergang geschrieben. Knapp 101 Jahre nach Entstehung des unvollendet gebliebenen Textes bringt das Staatstheater Nürnberg ihn in die Vertikale, lässt uns eintauchen in die Gedankenwelt des Tieres. Das Regieduo Lena Rucker und Nils Corte haben in ihrem Konzept die paranoide Grundkonstitution autokratischer Herrscher im Psychogramm des Tieres gefunden, stets auf ihre Sicherheit bedacht, aber doch ständig bedroht, oft aus dem inneren Kreis. Xenophon, dichtender Philosoph und Schüler des Sokrates, hat das schon 500 v. Chr in seinem Monolog Hieron beschrieben. Dort sagt Hieron I. von Syrakus: „Wir wissen nämlich, dass die, die (nur) aus Furcht nachgeben, sich soweit als möglich dem Verhalten derer anpassen, die aus Zuneigung gefällig sind. Und so werden von niemandem mehr Anschläge auf das Leben der Tyrannen verübt als von denen, die vorschützen, sie am meisten zu lieben.“ Und so muss der Tyrann jederzeit das Volk, auf dessen Loyalität er angewiesen ist, am meisten fürchten. Aber wer ist das Volk? Der Text Kafkas ist formal ein innerer Monolog, es gibt keinen äußeren Adressaten; in der vorliegenden Inszenierung wird aber das Publikum adressiert, wir als Zuschauer, werden Teil der Gedanken- und Lebenswelt des Tieres. Im Wandel des Spiels von Schauspieler Luca Rosendahl durchlaufen wir verschiedene Zuschreibungen. Sind wir zuerst Gäste, die ein fast gönnerhafter Gastgeber in die Vorzüge seines Baus einführt, werden wir später zu Verbündeten, schließlich geradezu zum innersten Kreis des Diktators, bis wir schließlich im Fortschreiten der paranoiden Bedrohung von ihm zu Eindringlingen, ja Verrätern gemacht werden. Das physische Bühnenbild ist ein schwarzer Raum, der durch vereinzelte weiße Möbel abstrakt wohnlich gemacht wird, mit einer Materialität, die an Zeichnungen erinnert, inspiriert durch Kafkas skizzenhafte Darstellungen; es gibt etwa eine Bar, einen Tisch, einen Sessel – und ein Schachbrett. Diese Ebene des Bühnenbildes ist aber nur ein Teil der Inszenierung: Das Publikum trägt - im Gegensatz zum Schauspieler - Mixed-Reality-Brillen, die zwar einerseits über außenliegende Kameras die physische Wirklichkeit zu unseren Augen durchschleifen, aber darüber hinaus eine weitere technologiebasierte Realitätsebene – eine Augmented Reality – aufspannen, die völlig neue Formen theatraler Verabredung ermöglicht. Wir tauchen ein in die wahnverzerrte Innenwelt des Tieres, in die immer wieder intrusive Gedanken als geometrische Körper eindringen, die mühsam mit Hilfe einer Mühle beseitigt werden müssen. Gemeinsam mit den Creative Codern Sebastian Heckner und Phil Hagen Jungschlaeger und dem 3D-Designer Nils Gallist hat das Regieteam diesen Raum erschaffen, der die Bedrohung durch moderne visuelle und auditive Technologien darstellen kann. Neben den Würfeln wird der physische Raum auch auf andere Art und Weise erweitert und komplettiert: Schachfiguren, Spiegelbilder, weitere Möbelstücke, Videos und sogar ein Tänzer finden ausschließlich über AR den Weg zum Zuschauer. Der Nachteil, der dem Schauspieler dadurch erwächst, dass ihm ein Teil der theatralen Erlebniswelt schlicht fehlt, wird konzeptuell ausgestellt. Er spielt die Bedrohung durch die simulierte Welt mit, er muss sie sich vorstellen, sie selbst herstellen - und so wird im Umweg über modernste Technologien doch vor allem wieder das jahrtausendealte Schauspielhandwerk gestärkt.

Dass wir mit DER BAU Pionierarbeit im Bereich AR-Theater leisten, ist auch der Forschung nicht entgangen. Carolin Schabbing, Experience Designerin und Medienwissenschaftlerin an der Universität Bonn, hat den gesamten Probenprozess für ihre Promotion zum Thema 4D Imaging in Live Performances und zur Probenforschung in digitalen und erweiterten Realitäten begleitet und dokumentiert. Sie freut sich sehr über Ihr Feedback nach dem Vorstellungsbesuch – hier können Sie den dazugehörigen Fragebogen (DE/EN) ausfüllen.

Und wir heißen Sie in unserem BAU herzlich willkommen.


Mit: Luca Rosendahl


Regie und Creative Coding: Nils Corte / Regie: Lena Rucker / Creative Coding: Phil Hagen Jungschläger, Sebastian Heckner / 3D Design: Nils Gallist / Dramaturgie: Konstantin Küspert / Wissenschaftliche Mitarbeit: Carolin Schabbing


Regieassistentin: Emma Kappl / Regiehospitanz: Greta Kuhlins / Werkstudentin: Sophia Czerwinski (Vorproben), Emma Kappl / Freiwilliges kulturelles Jahr: Sabrina Haas, Paula Hayduk (Vorproben), Nele Müller, Annett Novikov


DER BAU wird gefördert von HUMANSTARSapp.


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